Neulich bei einem Meeting in einem Cafehaus saß eine engagierte PR-Managerin mit in der Runde. Sie war sichtlich gestresst und in ihrem Versuch zu unterstützen und hilfreich zu sein, redete sie sich um Kopf und Kragen. Ideen, Vorschläge und Ratschläge kamen – ungefragt – bis uns allen der Kopf schwirrte. Mehrmals unterbrach sie sich selbst mit den Worten: “das wird mir jetzt gerade alles zu viel”. Was sie nicht zu bemerken schien ist, dass sie sich ihre Überforderung zu einem guten Teil selbst organisierte. Ähnliches erlebe ich in anderen Kontexten, dass viele Menschen die Welt verändern und retten wollen, bis zu Erschöpfung, die sie zum Teil auch aus sich selber schöpfen. Sie kreieren eine Welt der kompletten Überforderung, an der sie dann selber leiden. Ich frage mich: Wie wollen diese Menschen die Welt retten, die eigentlich selber Hilfe brauchen?

So unfair es ist, aber für erschöpft sein gibt es keine Bonuspunkte. Im Gegenteil, mal wird selbst zur Belastung und der Versuch, Gutes zu tun, scheitert.

Die Erschöpfung ist ein Phänomen unserer Zeit und es wird massiv stärker.

Sogar hocherfolgreiche Silicon Valley Manager haben uns in einem schwachen Moment – nachdem wir sie schon etwas besser kannten – zugegeben, dass sie in Wirklichkeit komplett erschöpft sind und jede freie Minute schlafen. Aber ihr Job ist der most awesome Job der Welt, die haben das allergreateste Team das man sich vorstellen können und sie retten außerdem die Welt hin und zurück. Das stimmt auch, aber sie können es nicht mehr genießen.

Das Problem mit der Erschöpfung ist alles andere als trivial.

Es macht uns krank, es raubt uns die Lebensfreude, sie legt sich wie ein grauer Schleier über alles, was wir – gerne – tun.

Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, in der Erschöpfung meine ständige Begleiterin war. Ich hatte bereits einen Bandscheibenvorfall und ein kleines Magengeschwür hinter mir, ich wusste, dass etwas nicht stimmt, aber ich liebte meinen Job und meine Kunden und das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges zu tun, gebraucht zu werden, erfolgreich zu sein. Ich hatte in einem Monat drei große Projekte gewonnen und in mir stieg die Panik auf: wie sollte ich das alles schaffen? Ich schaffte es, irgendwie, stand um 5:00 auf und arbeitete bis 8:00 an Angeboten und Unterlagen und dann um 9:00 hat der Arbeitstag mit den Kunden begonnen. Es war eine unglaublich produktive Phase, der Umsatz schnellte in die Höhe, ich war dauernd unterwegs und das Geschäft lief hervorragend. Wenn ich nur nicht dauernd so müde gewesen wäre. Das Herzrasen wurde schlimmer, der Schlaf dünner und Nächte kürzer. Eine wirklich anstrengende Kundin hat mir den letzten Nerv gezogen.

Frust statt Genuss

Anstatt meinen Erfolg und meine Aufgaben zu genießen, denn jedes für sich war wunderbar, schaute ich auf meinen vollen Kalender mit der Frage: hoffentlich schaffe ich es bis zum nächsten ruhigeren Moment. Es entstand das Gefühl, mein Leben zu “schaffen”, mein Leben zu überleben. Jeden Moment dachte ich an das was war, und das was kommt. Jede Pause war gefüllt und ich musste Vieles gleichzeitig im Blick haben. Ich fühlte mich als Versagerin, denn andere schafften viel mehr, die haben vielleicht auch noch Kinder, oder machen diesen Job viele Jahre, oder schaffen auch noch ihr Privatleben besser. In dieser Zeit habe ich Familientreffen versäumt und habe das Polterwochenende meiner Freundin deren Trauzeugin ich war abgesagt. Ich war so erschöpft, dass mich die Vorstellung, mit Freundinnen ein Wochenende in Rom zu verbringen, in die reinste Panik versetzt hat.

Irgendwann ging ich dann zu einem Psychiater – Tip eines Kollegen – und der verschrieb mir milde lächelnd Antidepressiva, weil mir nur mehr schwindlig war und das war tatsächlich eine gute Medizin, denn dann kam der Moment der Erkenntnis: “Du brauchst keine Antidepressiva sondern viel mehr Ruhe”.

Ich beschloss aufzuhören, erschöpft zu sein

Ich warf also die Medikamente ungeöffnet weg, übergab ein ganz tolles, ein ganz wichtiges, ein ganz superes Projekt einem Kollegen und beschloss, aufzuhören, erschöpft zu sein. Ich hatte schlichtweg das Interesse verloren, fertig zu sein, so unglaublich beschäftigt zu sein und so viel zu schaffen und so wenig davon mitzubekommen. Mir wurde klar, dass niemand außer mir diesen Zustand der Erschöpfung hergestellt hatte: ich hatte Bedingungen in meinem Leben geschaffen, die Erschöpfung produziert haben, aber natürlich auch den Erfolg, die Leistung und die Position, die ich haben wollte. Ich habe damals beschlossen, dass der Preis zu hoch war: der Preis war ich selber, mein Erleben meines Lebens und die Einbuße von Lebensfreude und Erfüllung.

Denn dies war vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Erfüllung hat nichts mit vollem Terminkalender zu tun, ein angefülltes Leben ist noch lange kein erfülltes Leben. Ich wusste das nur noch nicht. Im Streben nach Erfüllung habe ich mich völlig erschöpft. Ich dachte, dass Zufriedenheit, Erfüllung und Glück das Ergebnis von Erfolg im Außen ist, dass dies die Anerkennung im Innen bringt. Das Bizarre war für mich zu erkennen, dass ich mich in meinem eigenen Netz an Vorstellungen verfangen hatte, das im Außen seine Bestätigung findet. Ohne Fleiß kein Preis, so sind wir aufgewachsen. Ich war davon überzeugt, dass der Lohn der Erschöpfung die Erfüllung ist, dabei ist das Ergebnis der Erschöpfung die innere Leere und nicht die Fülle.

Ich habe mich gefragt: Wie hilfreich ist es, wenn der völlig erschöpfte Berater/Coach auf den völlig erschöpften Kunden trifft? Wie nützlich bin ich für die Welt, wenn ich im Büro umkippe und die entsetzte Sekretärin mir aufhelfen muss?

Dann fiel mir der kluge Gunther Schmidt ein, der im Rahmen einer Ausbildung gesagt hat: “Die oberste Pflicht eines Coaches ist es, für das eigene Wohlergehen zu sorgen”. Ich verstand, was er damit meinte, dann endlich.

Heute ist mein Leben anders. Ich bin nicht erschöpft. Ich bin nicht gestresst. Ich bin nicht gehetzt und nicht überfordert. Es geht mir gut. Ich war schon ewig nicht mehr krank. Ich mache was mich freut, ich habe Zeit für die Freunde, die Familie, für mich. Sehr viel Zeit sogar. Ich reise. Ich denke. Ich meditiere. Ich arbeite nur mit Kunden, die ich mag an Themen, die mich interessieren. Ich erfinde neue Projekte, wenn sie mir einfallen. Ich lese viel und gehe spazieren. Ich mache Dinge, die sich andere Menschen für die Pension aufheben. Ich führe lieber ein Leben, das eine Pension überflüssig macht, weil ich nicht aufhören muss, zu arbeiten. Ich habe kein Interesse an der Zukunft.

Ich zahle auch einen Preis: keine prestigeträchtige Position, keine Mitarbeiter, kein voller Terminkalender. Kein sicheres Einkommen. Ich bin konfrontiert mit mir selber, kann mich nicht mehr ablenken. Und so weiter.

Das Hamsterrad dreht sich schneller: wozu? 

Nun stehe ich neben dem Hamsterrad und sehe den Menschen zu, die es drehen. Sie sind erschöpft und je schneller sie treten, desto schneller dreht sich das Rad, desto anstrengender wird es. Ich sage nicht, dass das Leben nicht anstrengend ist und es “äußere Zwänge” gibt. Für viele Menschen werden aber sie selber zum stärksten äußeren Zwang. Das Streben nach Erfolg, Geld, Ämtern, Prestige, Bedeutung verselbständigt sich und wird zu einem Ding im Außen, ohne dass wir es merken. Wir merken nicht mehr, welch hohen Preis wir zahlen, denn wir sind auf den Gewinn fokussiert, der uns unser Glück kostet.

Ich höre schon meine Freunde sagen: “Du hast leicht reden, Du musst keine Familie ernähren”. Das stimmt erstens nur bedingt und außerdem ist Erschöpfung tatsächlich nicht ein Phänomen, das nur Familienernährer betrifft, sondern quer durch die Gesellschaft geht. Die Schulkinder sind erschöpft und müssen in den Ferien “mal chillen”. Tatsächlich ist das Phänomen der Erschöpfung eines, das unendliche Ursachen hat: vom Social Media Gebrauch, über den Stress, den unsichere Arbeitsverhältnisse auslösen, Zukunftsangst, schlechte Stimmung im Büro, Probleme in der Partnerschaft, sogar die Freizeit ist ein Stressor (Freizeitstress). Die Erwartungen und die Vorstellungen, die wir uns vom Leben machen und von dem, was uns Freude und Erfüllung bringt, sind tatsächlich völlig irrational. Während Langzeitstudien ergeben, dass vor allem die Qualität der Beziehungen zu Familie und Freunden glücklich macht, streben die Menschen nach “reich und berühmt”. Der Weg dorthin ist erschöpfend statt erfüllend.

Doch was tun? Was tun, wenn wir die Umstände nicht ändern können oder wollen? Bzw. was nicht tun?

Presence statt Erschöpfung

Es gibt aus meiner Sicht ein Gegengift zu dem Zustand der Erschöpfung: nämlich den Zustand der “Presence”: ein Zustand, indem wir uns völlig befreien von dem was war und dem was sein wird, in dem wir dieses “regretting the past and worrying about the future” verlassen und uns in den Moment, in das hier und jetzt vertiefen. Es ist der Moment des Hinschauens, den wir so gerne vermeiden wollen.

In dem wir wahrnehmen, dass wir sind, was wir sind, was wir fühlen, was wir denken, in dem wir uns und unser Umfeld wahrnehmen und staunen. Denn die Erschöpfung ist nicht das Ergebnis von Anstrengung sondern davon, dass wir ein falsches Leben leben. Ein Leben, von dem wir denken, dass es uns gemäß sein sollte, das es aber nicht ist.

Wir nehmen uns wahr und wir beginnen uns selber zu spüren. Und wenn wir das tun, werden wir neue Entscheidungen für uns treffen und ein Leben leben, das uns gemäßer ist. Es sind manchmal nur ganz kleine Verschiebungen, nur kleine Änderungen oder sogar nur neue Sichtweisen, die Entlastung bringen. Niemand muss sein Leben über Bord werfen, die Familie verlassen, oder auswandern.

Es braucht kleine Moment von echter Anwesenheit, die alles verändern. Denn Erschöpfung – ich sage es nochmal – ist kein Beweis von Leistungsfähigkeit sondern ein lautes Zeichen, dass wir gegen unser eigenes Wesen leben.

Indians are sick and tired of working so much

http://derstandard.at/2000042340762/Lebensumfeld-Warum-Erschoepfung-entsteht