Selbstorganisation – the self-organizing company – wird derzeit gehypt und gefeiert. Ich halte diesen Trend für durchaus positiv, aber es hat auch seine Tücken und ist voll von Missverständnissen. Selbstorganisation kann sehr kraftvoll sein oder sehr kraftlos, wenn sie sich um sich selbst dreht. Wenn also niemand den Raum schützt und hält, entsteht Misstrauen, Machtkämpfe und das Gesetz des Stärkeren übernimmt.

Auf den Punkt gebracht sehe ich zwei Formen von Selbstorganisation: die gute und die schlechte

  1. Schlechte Selbstorganisation

Das ist die Form von Selbstorganisation, in der sich Teile, Teams und Personen verselbständigen, weil ihnen Richtung, Purpose und ein innerer Zusammenhang fehlen. Sie wissen nicht genau, was “die Organisation” von ihnen erwartet, sie bekommen weder klare Richtung, Ziele noch Feedback. Es fehlt “Führung” und damit meine nicht jemanden, der den Chef raushängen lässt und seine hierarchische Macht missbraucht, sondern der die Organisation und ihren Zweck repräsentiert und für Richtung und Klarheit sorgt.

Selbstorganisation ist in diesem Fall das Ergebnis davon , dass Menschen die Hoffnung auf gute Führung aufgegeben haben und von nun an tun, was sie selbst glauben. Sie stecken sich ihre eigenen Ziele, schaffen einen eigenen Sinn & Zweck, wurschteln sich so gut wie möglich durch. Sie verlieren das große Ganze aus den Augen und driften auseinander, fokussieren sich auf ihren Bereich. Sie tref18492594_10155199934337319_1279404843_nfen auf andere Teams und Personen, die ähnlich agieren und das Ergebnis ist eine disfunktionale Organisation, in durch Zielkonflikte, Reibereien und Lähmung geschwächt ist. Für die Leute ist der Freiraum zum Einen angenehm, viele richten es sich gut ein, aber zum anderen bleibt der schale Beigeschmack: “passt das eigentlich, was ich mache? Was wird wirklich von mir erwartet? Ist mein Beitrag OK? Macht das wirklich Sinn?”  Sie sagen es mir, jeden Tag. Sie wollen beitragen und sie wollen, dass dies auch gewürdigt wird, dass sie selbst denn Sinn ihres Tuns in Bezug auf einen geteilten Sinn & Zweck sehen können.

Menschen wünschen sich Führung, echt jetzt.Und zwar eine ganz spezifische Führung, eine, die Freiraum lasst über das WIE, aber keinen Zweifel über das WAS (auf hoher Flugebene) und WARUM. Und dies im Zweifel auch nachhaltet. Es ist so, dass es MitarbeiterInnen der Organisation richtig übel nehmen, wenn sie das nicht bekommen.

In einer solchen Situation ist Selbstorganisation nicht die Lösung sondern das problematische Ergebnis einer strukturellen Führungsschwäche. Das hat auch nichts mit New Work oder cooler Start-up Kultur zu tun, sondern lässt die Mitarbeiter ständig in unlösbaren Widersprüchen. Konflikte, Ineffizienzen, persönliche Aufgeriebenheit und Erschöpfung führen zu den berühmten “toxic cultures” in den schicken Start-Ups.

Was steckt also hinter dem Bedürfnis nach mehr Selbstorganisation? Aus meiner Sicht ist es die (falsche) Antwort auf schlechte Führung: entweder fehlende Führung (zu viel Freiräume) oder missbräuchlich18449958_10155199930942319_205847464_ne Führung (zu wenig Freiräume), die Flexibilität und Spontanität verhindert, sich selbst zum Bottelneck macht und glaubt,  dass Führung heißt, kraft seines Amtes Befehle auszugeben. Dass Menschen mit dieser Enge, Demütigung und Unterdrückung mit Widerstand, Zynismus oder Resignation reagieren und nicht ihr Bestes zur Verfügung stellen können, ist auch klar. Die Schlussfolgerung “wir schaffen Führung ab, Selbstorganisation ist Self-Empowerment” ist allerdings der Holzweg

Selbstorganisation ist nichts, das hergestellt werden muss, sondern existierende Energie, die kanalisiert muss. Ich habe dazu an anderer Stelle schon beschrieben, dass ohne Selbstorganisation nichts laufen würde, die völlige Kontrolle ist komplette Illusion.

Es geht viel mehr darum, die Selbstorganisationkräfte und Kapazität, die uns Menschen automatisch innewohnt, positiv zu kanalisieren und in eine Richtung zu lenken. Dann wären wir bei der…

2. Gute Selbstorganisation 

Die gute Selbstorganisation ist das Ergebnis guter Führung. Einer Führung, die in den wesentlichen Punkten für Klarheit und Orientierung sorgt: Wer sind wir? Wofür stehen wir? Warum sind wir da? Was sind un18471233_10155199934427319_752683076_nsere Ziele? Was sind die wesentlichen Prinzipien? Was ist uns wichtig? Wo wollen wir hin? Welchen Mehrwert bringen wir? und so weiter.
Grundfragen also, die zu einer Art “gerichteter Selbstorganisation” führt, die sich nicht selbst im Weg steht sondern eine kraftvolle Kanalisation der Energien ermöglicht. Führung hat die Aufgabe, diesen Korridor zu definieren, sich selber daran zu halten und diesen auch zu schützen, sprich, einzufordern. Denn Menschen haben die Tendenz sich selbst zu optimieren und Linien zu überschreiten und das ist der Moment, wo es Führung braucht. Sie ist dann im Alltag eher wie ein Bodyguard: man spürt sie nur dann, wenn man sie auch braucht und sie sitzt einem nicht dauernd
im Nacken.

Aber diese Funktion braucht es, sie gibt nämlich den Leuten Sicherheit in der Offenheit, die Basis für Vertrauen und Leistungsfähigkeit.

Fazit

Und ich bin tatsächlich altmodisch, was eine Sache betrifft: Ich glaube nach wie vor, dass diese Aufgabe Personen, Menschen, übernehmen müssen, die ansprechbar sind und die diese Verantwortung, das Ganze zu schützen, auch übernehmen. Den Ansatz, diese Funktion an ein System zu delegieren sehe ich nicht, jedoch gibt es viele interessante Organisationsformen, die geordnete Selbstorganisation unterstützen, Führung jedoch nicht ersetzen können.

18425748_10155199934377319_1068850440_n

 

 

Gallup News: The No-Managers Organizational Approach Doesn’t Work

New York Times: after a radical management experiment zappos exodus continues 

https://pazifika.com/2017/04/13/your-organization-is-already-self-organizing/