Kurz vor Weihnachten erhalte ich ein e-mail von Performance Künstler Gerald Straub. Ob wir uns treffen können, er hätte von unserer Arbeit gehört. Nach einem intensiven Gespräch lädt er Christian und mich ein, eine Station von mehreren in einer performativen Projektpräsentation zu gestalten: wir sollen unsere Arbeit vorstellen.

Das Projekt: Transformation durch Kunst im Raum

Das vorgestellte Projekt heißt “embedded exception” und hat zum Ziel, die Stadt Wien im Rahmen der IBA-Wien mit Hilfe von künstlerischen Interventionen zu transformieren – oder Impulse für eine solche zu generieren. So könnten beispielsweise “Artist in Residence” Programme in Magistratsabteilungen der Stadt Wien durchgeführt werden. Ein Beispiel für eine schon gelungene Kunstintervention ist die Verwandlung eines Marktes im 2. Bezirk in einen “Hafen”, inklusive aufgestelltem Boot. Im Laufe des Projektes geben die Standler ihren Ständen Schiffsnamen, begrüßen sich mit “Schiff Ahoi”, es stellt sich heraus, dass manche Hochsehsegler oder U-Bootfahrer waren. Die Kommunikation und die Stimmung verändern sich durch diesen spielerischen und humorvollen Zugang komplett.

Wir sind begeistert, haben aber zunächst keine Ahnung, wie das gehen soll

Wir können uns wenig vorstellen, was passieren wird und schon gar nicht, wie wir es angehen werden. Wie können wir das Thema Transformation, Organisationsentwicklung, Führung etc präsentieren? Wir beschließen, einfach Nichts zu präsentieren, sondern einen Raum für mentale Transformation in Form eines Kreises aus Meditationskissen zu symbolisieren und die Menschen einzuladen, diesen mit uns gemeinsam zu betreten und dann zu sehen, was passiert.

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Embedded Transformation

Wir nennen unsere Performance “embedded transformation” und wollen damit aussagen, dass Transformation immer und überall stattfindet und immer in irgendeinen Kontext eingebettet ist. Dass sie somit nichts Besonderes ist sondern etwas ganz Einfaches, Natürliches, Normales, wenn man sich ihr nicht in den Weg stellt.

Und: dass sie nicht nur innerhalb von Menschen sondern auch zwischen Menschen entsteht. Wir wollen eine Gelegenheit schaffen, in der einander fremde Menschen begegnen und etwas Neues generieren: Wissen, Erkenntnisse, Einsichten.

Idealerweise können wir im Rahmen der Ausstellung einen Erfahrungsraum anbieten, der sich selbst erklärt. Denn das ist der Kern unserer Arbeit: wir schaffen Bedingungen für Menschen, neue Erkenntnisse für sich selbst zu generieren, die eine transformatorische Energie entwickeln, aus eigenem Wollen, aus eigener Einsicht, mit einer gewissen Leichtigkeit und Natürlichkeit. Wir wollen weder Menschen noch Organisationen in Veränderungen zwingen (oder dabei helfen). Im Gegenteil, es geht darum, den Zwang, den Krampf und den Kampf abzulegen und den natürlichen Bewegungsdrang von Organisationen freizulegen.

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Die Räumlichkeiten – feinste 60er Ästhetik

Wir sind aufgeregt, der 24. Jänner, der Tag der Performance rückt näher. Wir besichtigen den Raum im Vorfeld, ein Veranstaltungsraum der Volkshochschule im 6. Bezirk, gegenüber vom Cafe Jelinek. Als erstes fällt auf, dass in einer Nische auf der Straße Blumen liegen und Kerzen brennen. Ein paar Tage davor ist genau an dieser Stelle ein “Fassadenkraxler” abgestürzt. Ein junger Mann, der über die Fassade in seine eigene Wohnung gelangen wollte, warum genau weiß man nicht. Es war in allen Medien.

Im Gebäude sitzen 3 Mitarbeiter an der leeren Garderobe, sie sind gerade dabei ihr mitgebrachtes Mittagessen einzunehmen. Es ist 11:15. Die Innenausstattung aus den frühen 60ern, inklusive der rosa Vorhänge und verstaubten traurigen Zimmerpflanzen. Die Luft ist muffig, die Fenster mit einem gräulichen Schleier überzogen. Hier ist die Zeit stehengeblieben, dass es solche Räume noch gibt wundert immer wieder. Wir finden, ein guter Rahmen. Da kann man was machen.

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Die eigene Transformation

Wir werden also zum ersten Mal im Rahmen von und mit Künstlern auftauchen. Die Menschen, die kommen werden keine Ahnung haben, wer wir sind. Das gibt uns die Möglichkeit, auch keine Ahnung haben zu müssen, wer wir sind. Der Gedanke daran wirkt unglaublich befreiend. Wir müssen nichts leisten, liefern, beweisen oder sein. Wir können einfach einen Raum anbieten und warten, was sich zeigt.

Im Vorfeld besprechen Christian und ich, was uns wichtig ist: keine Erwartungen zu haben.. lustig wäre schön.. wenn die Leute sich irgendwas mitnehmen können, egal was… dass Gerald es unterstützend erlebt für das Vorhaben, das wäre schon gut..etwas Neues auszuprobieren… selbst etwas lernen… sich selbst neu zu erleben.. entdecken, was jenseits der Rolle Berater/Coach möglich ist… die Möglichkeit, dass wir auch Performance Künstler sein könnten..mit neuen Menschen in Kontakt zu sein.. Präsenz zu üben.

Ich erkenne, dass diese Gelegenheit, in einem neuen Kontext zu erscheinen schon in sich ein tranformativer Akt ist. Da hat sich nichts im Außen geändert, wir sehen nicht anders aus oder machen nichts wirklich Anderes, es ist ein rein mentaler Prozess. Ich verstehe, dass Transformation nicht nur bedeutet, sich von einer Identität  (z.B. Beraterin) in einer andere Identität (z.B. Künstlerin) zu transformieren, sondern einfach die Tatsache, dass ich mehrere Identitäten gleichzeitig annehmen kann, die vordergründig überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Das und das und das…

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Es geht los

Der Parcours ist bereit. Da gibt es einen Performance Künstler, der vor einem Stapel mit 10 Stühlen steht. Er will mit Raum experimentieren. Wir bauen aus jeweils 3 Stühlen 2 Flächen, legen uns auf den Bauch und beginnen ein Gespräch über Raum und Sein. Ein völlig neues Gesprächserlebnis. Später wird er die Besucher bitten, unterschiedliche Räume zu gestalten, sich im Sesselkreis zurückzulehnen und die Füße der anderen zu berühren. Es entstehen sehr intensive Gespräche und Situationen.

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Ein anderes Duo beschäftigt sich mit Trauerräumen. Ein nächster Künstler zeigt seine genialen Grafiken, und wer die Hand durch ein Guckloch steckt, bekommt architektonische Kunstwerke aufgezeichnet, die Performance heißt: “Body Buildings”.

Ein Musiker spielt zart Klavier oder Ziehharmonika und verleiht dem Raum damit einen Hauch von Glamour.

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Eine nächste Performance ist eine Talkshow, in der ein fiktives “Artist in Residence” Projekt vorgestellt wird. Die “Künstlerin” ist eine äußerst attraktive Schauspielerin, die überzeugend von der tollen Erfahrung erzählt, was sie alles gemacht und erreicht hat. Das Ganze wird filmisch unterstützt.

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Bis zu dem Tag der Performance hatte ich ein recht klares Bild, was Transformation für mich heißt und bedeutet.. 

Und dann wir. Die Besucher sind neugierig und werden vom Host Gerald aufgefordert, sich zu uns zu setzen. Das tun die meisten sofort, manche setzen sich auf einen Sessel, ziehen aber ihre Schuhe aus und gesellen sich dazu. Manchmal beginnen wir mit einer Minute in Stille zu sitzen. Manchmal entspinnen sich sofort intensive Gespräche, die wir mit der Frage eröffnen: “Transformation – was löst das bei Ihnen aus, was bedeutet Transformation für Sie?” Wir reden mit unterschiedlichsten Menschen und erfahren, dass Transformation keinesfalls für alle das Gleiche heißt, nicht einmal annähernd. Ich habe ein paar Sequenzen mitgeschrieben, um einen Eindruck wiedergeben zu können. Es kommen Architekten, Dramaturgen, Maskenbildner, Vertreter der IBA, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen, die meisten Personen haben irgendetwas mit Gestaltung und Stadt zu tun.. und teilen gerne ihre Erfahrungen und Eindrücke.

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Konversation über Transformation – Transformation durch Konversation

“auch der Körper transformiert sich ständig.. Fragen öffnen Räume…Architektur ist geronnene Vorstellung..es geht auch ums TUN, nicht nur ums Reden und Denken… im Moment wird alles ökonomisiert, was fehlt ist das Miteinander, das Füreinander im Raum…das Nichtstun, ist das auch ein TUN?…Transformation kann wieder ein Versprechen werden, etwas neues Starres, objekthaft…Transformation soll nicht zu einem neuen Imperativ werden, eher als Möglichkeit gesehen werden, weil es dann anerkennt, dass wir in einer komplexen Welt leben..Transformation ist fluide und immer nur anteilig, weniger von Einem ins Nächste sondern eher ein Oszillieren.. ich muss nicht festgelegt werden, auch nicht darauf, dass ich mich permanent transformieren muss…Transformation suggeriert etwas Gerichtetes, aber ich sehe es eher wie einen Kosmos, einmal wird das Eine, dann das Andere virulent… Transformation ist die Möglichkeit, dass alles anders sein könnte, so habe ich mehr Möglichkeiten

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Wie in der Dramaturgie, die bewegt sich auch zwischen starr und beweglich, es gibt einen Impuls, ein Skript zu ändern durch experimentelle Räume, die neue Verbindungen herstellen… Performance hat immer auch was mit Körper zu tun: der Körper ist auch eine Black Box, alleine die Körpererinnerung: alles ist gewired, kleine Impulse können völlig neue Bilder erzeugen.. Wozu transformieren?… wir haben uns selber und die Welt kolonialisiert – es geht darum, uns selber zu befreien von der Entfremdung, wieder alte Mythen aufleben zu lassen, unseren Ursprung zu entdecken.. es geht mehr darum, die Schichten zu lösen um wieder mehr in Resonanz zu kommen, das Wesen wieder zu begreifen..so wie in Kleists “Über das Puppentheater”: da geht es um die Transformation von der Anmut (unbeobachtet) in die Eitelkeit (beobachtet), der Übergang zurück zur Anmut braucht dann ein Refinement. So wie wir, wie unser Geist… es geht darum, dass wir uns bewegen, uns neu verorten, in Beziehung setzen bis zur Frage: Darf ich glücklich sein? Mir das selbst erlauben? Angesichts der Informationen die ich aus der ganzen Welt habe und allem Elend, das ich weiß? Darf ich es vergessen, um Kraft zu tanken? Manchmal kommt die Angst, sich etwas herauszunehmen…

Pause

Es gibt eine Pause, die Beine sind eingeschlafen, der Mund trocken und der Kopf schwirrt. Ich spaziere in die Lobby, dort ist gerade niemand. Draußen, es hat Minusgrade, geht eine junge Frau mit 3 Grabkerzen und Blumen vorbei und beginnt die Gedenkstelle zu säubern von alten Blumen, sie stellt die Kerzen auf. Sie sieht unglaublich traurig aus und mir ist sofort klar: sie ist die Freundin des jungen Burschen, der hier vor 2 Wochen gestorben ist. Ich gehe hinaus und spreche sie an, ob das ihr Freund gewesen sei. Sie sieht mich an und nickt. Sie ist sehr jung, sehr zart und man sieht das Leid durch und durch. Es ist herzzerreißend. Ich drücke ihr mein Beileid aus und streichle ganz kurz über ihren Rücken. Dann gehe ich wieder, ich will ihr nicht zu nahe treten. Ich wollte aber auch nicht nichts machen: Von meinem Freund Robert, dem Zen Priester aus San Francisco habe ich gelernt, dass es im Leben nur um die Ausübung von “simple human things” geht. Ein kurzer Moment des Innehaltens, echte Zuwendung, eine ehrliche Frage: Wie geht es Dir?

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Es geht weiter

Ist das Leben ein Wunschkonzert, oder ist das Leben kein Wunschkonzert?.. Ich kann mir vielleicht nicht aussuchen, wie ich mich fühle, aber sehr wohl, wie ich mich dazu in Beziehung setze.. also wie bewerte ich ein Gefühl von Trauer, von Angst, von Euphorie? …Transformation ist nicht nur die Monstertransformation, wie von der Raupe in den Schmetterling, wo nichts mehr bleibt, sondern ist auch ein Ergebnis von Mikrowahlen, Minitransformationen im Bezug auf vielleicht ein Mikrothema, es geht nicht immer ums Ganze… Wir haben immer Wahlmöglichkeiten, auch wenn sie klein sind. Und die können einen großen Unterschied, so wie ein halber Zentimeter einer Türöffnung einen Raum völlig transformieren kann, von tief Dunkel in ganz wenig heller.. 

Man kann gleich bleiben UND sich verändern…das Eine ist zugleich in das Andere eingebettet… Trans: das ganze Leben ist ein Prozess, ein Übergang… Vielleicht ist es auch Mode: das Gefühl, wir müssen uns ständig transformieren für den Arbeitsmarkt.. Für mich als Maskenbildnerin ist Transformation eine Verwandlung, die Menschen passen ihr Verhalten der Maske an… der Akt des Schuhe Ausziehens ist auch eine Verwandlung.. aber es ist ganz angenehm, ganz heimelig.. Transformation ist für mich: Ich werde zwei Menschen…Transformation ist im Rückblick am offensichtlichsten, im Vergleich zu was schon geschehen ist, kann man sie erkennen

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Es ist 20:00 und die Performance ist zu Ende. Das Feedback ist richtig gut.

Christian und ich schauen uns an: wir war das? Gut finden wir. Wir sind überrascht, wie vielschichtig die Gespräche waren, wo sie überall hingeführt haben. Die Besucher haben sich sofort eingelassen, die Schuhausziehhürde war nicht zu hoch. Ein Besucher sagt zu uns: “Auf so einer Veranstaltung war ich noch nie” und er meint das verwundert und anerkennend zugleich.

Gerald ist auch zufrieden. Die Leute waren begeistert, dass “endlich miteinander geredet werden konnte”, denn das ist das, was bei solchen Veranstaltungen immer fehlen würde. Sie haben es offensichtlich genossen, so wie wir.

Der Kameramann, der uns den ganzen Nachmittag gefilmt hat, fragt mich jetzt: “was genau macht ihr eigentlich, was seid ihr? Künstler, oder solche Meditationslehrer, oder Coaches, oder was?” Ich bin glücklich. Er traut uns alles zu.

Wir sind alle hungrig und müde, das Team bewegt sich ins Gasthaus nebenan und das Backhendl schmeckt wirklich gut. Wir hoffen, dass die Auftraggeber nun auch Aufträge geben und das Potenzial von Kunst für Transformation erahnen konnten, denn auch die Performance waren ja nur “Zitate”, wir man in der Kunstwelt sagt. Wir sind motiviert, zusammen zu arbeiten, die Künstler und die Berater und wir sehen, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind. Wir alle versuchen, durch unsere Interventionen neue Denk- und Möglichkeitsräume zu öffnen, durch neue Verbindungen Innovationen zu ermöglichen, und nicht alles so tierisch ernst zu nehmen, vor allem uns selbst nicht.

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Foto: mit Marina Abramovic

Embedded Exception ist ein künstlerisches Forschungsprojekt im Kontext der IBA programmatischen Begriffe „Empowerment” und „Raum schaffen“.

von und mit
Gerald Straub, Mario Höber, Barbara Hölbling, Daniel Aschwanden, Aldo Giannotti, Matthias Meinharter

Gäste:
Julia Culen & Christian Mayhofer
Marian Kaiser
Christian Mrazek

Diese Musik hat mich während des Schreibens begleitet:

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