Sind Sie zufrieden? Nein, natürlich nicht. Denn das wäre das Ärgste. Zugeben, dass man zufrieden ist, kommt einer Kapitulation gleich: man hat quasi aufgegeben, gibt sich mit dem zufrieden was man hat, legt nun die Hände in den Schoß, weil man ja nichts mehr will und braucht. Das Leben hat dann keinen Sinn mehr, wenn man nichts mehr erreichen will, nichts mehr haben will und nichts mehr werden will. Unzufriedenheit ist die neue Tugend unserer Zeit geworden, Zufriedenheit der Makel. Die Möglichkeit, Ziele tatsächlich zu erreichen und dann zufrieden zu sein, löst regelrecht ein Gefühl der Panik aus. Weil: was dann? Wohin mit mir? Wer bin ich, wenn ich zufrieden bin? Ich bin ja die, die erfolgreich, bekannt, reich, glücklich, schön, beliebt etc. werden will.
Wenn wir genauer hinsehen, dann steckt die folgende Annahme dahinter: das Einzige, was uns am Laufen hält und uns antreibt, ist ein Gefühl des Mangels, des “irgendwas stimmt nicht mit mir und meinem Leben”, etwas nicht zu haben, nicht zu sein. Echt jetzt: sind wir wirklich so armselig, dass wir uns nur in Bewegung setzen, wenn wir das was ist, das was wir haben, die die wir sind ins Unrecht setzen und abwerten? Haben wir das wirklich nötig? Offensichtlich. Verstärkt durch eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die auf Wachstum angewiesen ist: der Konsum muss am Laufen gehalten werden, Probleme erzeugt und Lösungen verkauft werden (Stichwort: Achselfett Operation!). Zufriedenheit ist der Todfeind des Konsums und muss daher vermieden werden. Was nicht schwer ist, da wir Menschen ohnehin die Veranlagung des Strebens nach mehr und Besserem haben. Sich selbst mit Unzufriedenheit und Gier am Laufen halten, das fällt leicht. Selbstgeißelung sozusagen.
Es gibt auch eine gerechtfertigte Unzufriedenheit, nämlich dann, wenn unser materieller Wohlstand unter eine gewisse Schwelle fällt und wir tatsächlichen Mangel leiden, also nicht alles haben, was wir tatsächlich brauchen. Der Umkehrschluss, dass alle die darüber liegen zufrieden sind, funktioniert leider nicht. Die Unzufriedenheitsskala ist nach oben offen. Viele Forschungen haben den zwingenden Zusammenhang von materiellem Reichtum und Zufriedenheit, bzw. den Zusammenhang von Mangel und Unzufriedenheit widerlegt (z.B. hier). Es scheint an etwas Anderem zu liegen.
In Unternehmen ist es ähnlich: Wenn wir zufrieden mit der Leistung wären, wo kämen wir da hin? Werden Ziele erreicht oder übererfüllt, dann waren die Ziele zu niedrig gesteckt. Der Mangel ist institutionalisiert, Budgets dürfen nicht erreicht oder erfüllt werden, weil sonst die kollektive Lethargie droht. Das größte Problem für Führungskräfte sind erfolgreiche Jahre: wie kann man denn die MitarbeiterInnen jetzt “motivieren”? Ihnen Druck machen, dass sie sich bewegen?
Zufriedenheit ist laut Duden:
a) innerlich ausgeglichen zu sein und nichts anderes zu verlangen, als man hat;
b) mit den gegebenen Verhältnissen, Leistungen oder ähnlichem einverstanden zu sein, nichts auszusetzen zu haben.
c) Und ich würde dazufügen: In Frieden mit sich und der Welt sein.
Man könnte es auch ausdrücken mit: “Annehmen was ist”. Das hat nichts mit Resignation zu tun, wie es so oft fehlinterpretiert wird, sondern mit einem Wahl, die gegebenen Umstände nicht ins Unrecht zu setzen und angesichts der Umstände kraftvolle Entscheidungen zu fällen:
- wenn wir in Organisationen Frust durch Stolz ersetzt: Menschen, die stolz darauf sind, was sie gemeinsam erreicht haben. Wenn wir statt auf Druck auf Sog setzen und sagen: wow, das haben wir geschafft, was gibt es noch für Möglichkeiten für uns?
- Wenn wir beginnen anstelle aus dem Mangel aus der Fülle zu leben: wow, das Leben ist schön, ich habe im Grunde genommen alles, was ich brauche..
- Wenn wir aufhören Dinge nur deswegen zu tun, weil wir glauben etwas erreichen zu müssen, das dann zufrieden und glücklich macht?
- Schlichtweg die Möglichkeit zu sehen, angesichts von Zufriedenheit Ziele im Leben zu haben. Und zwar nicht ausschließlich weil man etwas erreichen will, was DANN zufrieden macht, sondern aus der Freude am Tun, aus Interesse an einer Sache.. dass man also Zufriedenheit aus der Aktivität an sich zieht und nicht nur am Erreichen derselben.
- Wenn Zufriedenheit dazu führt, dass unsere Gedanken und Aktivitäten nicht ständig um uns selber kreisen: wer wir werden wollen, wie wir besserer Menschen werden können, was wir haben und was wir haben wollen sondern was wir für die Welt positives beitragen können?
Zufriedenheit ist also kein Objekt, kein Ding, das ich erwerben oder erarbeiten oder kaufen oder haben kann, sondern ein innerer Zustand von Dankbarkeit, von Anerkennung und Achtung meiner Ressourcen und Möglichkeiten. Zufriedenheit ist nichts anderes als eine Wahl, denn es gibt immer ähnlich viele Gründe, Zufrieden wie Unzufrieden zu sein, egal, was erreicht ist. Wir sind allerdings sehr kreativ im Erfinden von Zielen und Mangel. Insofern können wir auch jetzt und gleich und hier wählen zufrieden zu sein. Sie glauben es nicht? Einfach ausprobieren: 5 Minuten eine Ausnahme von der Unzufriedenheit machen und die Möglichkeit sehen, zufrieden zu sein.
Sie brauchen keine Angst vor dem Experiment haben, die Unzufriedenheit kommt sicher zurück, sind wir doch alle Meister im Gefühl von Mangel. Zufrieden sein kann man üben, jeden Tag ein paar Minuten so tun, als ob man zufrieden wäre und sehen, was das macht. Vielleicht tauchen neue Ideen und Inspirationen auf? Vielleicht zeigt sich plötzlich, was Sie machen WOLLEN, nicht was Sie glauben tun zu MÜSSEN.
Same thing in Organisationen: was würde passieren, wenn sich die Energie aus Zufriedenheit und Stolz speist? Wenn Freude und Entspannung herrschen, tun sich neue Räume auf, vielleicht? Möglicherweise nicht Apathie sondern Kreativität und Kraft.
Wenn wir lernen würden, mehr in Frieden mit uns und der Welt zu sein, wäre die Welt vielleicht tatsächlich ein friedlicherer Ort. Denn Unzufriedenheit führt nicht zu Zufriedenheit und Glück, sondern zu mehr Unzufriedenheit und Unglück. Wer also Glück und Zufriedenheit sucht kann damit aufhören und damit beginnen, glücklich und zufrieden zu SEIN.
http://www.zeit.de/karriere/2016-12/zufriedenheit-positive-psychologie/seite-2
http://www.sueddeutsche.de/geld/forschung-zur-zufriedenheit-mehr-geld-mehr-glueck-1.2370429
https://de.wikipedia.org/wiki/Zufriedenheit