Andere Menschen haben Kinder, ich habe einen Garten, der mich auf den Boden der Realität zurückbringt. Wenn ich von meinen diversen Vortragsreisen, Kundenworkshops, Bücherlesen und wichtigen und tiefen Gesprächen in mein Landhaus in Oberösterreich komme, holt mich das Wesentliche ein. Die Oleander sind total verlaust, die Beete verwildert, die Rosen wuchern ohne Ende und die Bienenweide besteht nur aus Gras und nicht aus den netten bunten Wiesenblumen, die ich angesät habe. Die Minze wuchert in großen Büscheln und wird nun getrocknet, bis auf Weiteres gibt es Pfefferminztee.

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Die nächsten Tage werde ich barfuß in Shorts, T-Shirts und Arbeitshandschuhen verbringen, mit Abstechern zu den umliegenden Gärtnereien und ab und zu durch die Felder mit dem Rad zum Spar einkaufen und zum See baden fahren. Ansonsten werde ich in der Erde herumwühlen, Beete bepflanzen, Unkraut jäten, Kuchen backen, Rosen schneiden und Blumen gießen. Ich werde die Pflanzen streicheln, mit ihnen sprechen, sie fragen, ob sie sich hier wohl fühlen, was sie brauchen und mich bei ihnen entschuldigen, wenn ich auf sie draufsteige. Und ich versuche mir nicht über mich zu denken, dass ich jetzt so eine crazy Alte werde, die vor sich hinmurmelt, aber ganz ehrlich, die Pflanzen reagieren auf mich, da gibt es diese Verbindung. Dazwischen das Haus putzen, muss auch gemacht werden. Denn obwohl es von Außen gar nicht so groß aussieht, hat es doch 4 Schlafzimmer, 2 Bäder, Wohnküche, Wohnzimmer, Vorzimmer, Wirtschaftsraum, Garage und so. Das Elternhaus meines Mannes, das wir mühevoll und liebevoll für uns adaptiert haben und man weiß jetzt auch, wo das Geld geblieben ist.

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Dazwischen gibt es allerdings e-mails und die eine oder andere Telefonkonferenz. Gestern zum Beispiel war es ein Konzernvorstand und ich dachte es wäre ohne Video. War dann mit Video und ich habe versucht, mein Bikinioberteil im T-Shirt zu verstecken und eine halbwegs passable Frisur hinzukriegen, was nicht gelungen ist.

Wir haben mit ihm besprochen, was der nächste Schritt im Transformationsprozess sein wird, wir brauchen die nächste Stufe der Flexibilisierung und Empowerment der Mitarbeiter. Da trifft es sich gut, dass wir am Vortag zu einer virtuellen Learning Journey eingeladen waren: da haben doch 2 Jungs bei Siemens eine Turbinenproduktion im Herzen von Berlin komplett auf Selbstorganisation umgestellt und sie sagen ihre größte Herausforderung war und ist es dafür zu sorgen, dass sie “nichts unter Kontrolle haben”. Pfo, die Jungs sind echt gut drauf. Es gibt einen Artikel darüber: https://goo.gl/MnGY1y aber ich finde, er kommt bei weitem nicht an die live Erzählung heran.

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Dazwischen tut sich ein anderes Thema auf: ein Kunde möchte, dass wir eine Führungskräfteentwicklung entwickeln. Es stellt sich aber heraus, dass sie gar nicht so recht wissen, was sie wollen und es darüber hinaus schon einen Vorschlag gibt, von anderen Beratern. Die sind der Meinung, dass man in der Selbstorganisation eigentlich eh keine Führungskräfte mehr braucht. Da sind wir anderer Meinung, gerade Selbstorganisation braucht Führung.  Halt eine gute, reflektierte, reife Version von Führung, und dazu braucht es Unterstützung. E-mails werden hin und hergeschickt, telefoniert und jetzt schauen wir mal, was passiert.

Am Abend ruft ein Kunde an, mit dem ich soeben einen Strategieworkshop gehalten habe. Er hat Fragen zu seinem Führungsstil und einem Mitarbeitergespräch, ich mache ihm Mut. Während wir telefonieren zupfe ich die abgeblühten Blüten vom Hibiskusstrauch.

Wir fahren zum See und dort angekommen sehen wir, dass wir einen Anruf von einem Kunden versäumt haben, er wollte sich nochmal absprechen. Wir suchen einen Platz, an der das Kindergekreische nicht ganz so durchdringend ist.

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Auf dem Weg zum Markt heute morgen – auf dem Rad selbstverständlich –  denke ich über ein neues Projekt nach, das demnächst starten soll. Eine Unternehmenskulturtransformationsentwicklung oder so.. 8.000 Mitarbeiter, altes Geschäftsmodell, es soll innovativer werden und die Jungen ansprechen. In dieser Situation sind derzeit sehr sehr viele Unternehmen und ihr Hauptproblem ist, dass sie derzeit noch erfolgreich sind. Also das ist nicht das Problem, sondern das Problem ist, dass sie sich in Sicherheit fühlen, sind sie aber nicht.

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Ich schaue auf die Felder und dann wird mir klar, was dort die beste Hilfe ist. Nämlich nicht an der Kultur und der Strategie zu arbeiten, sondern etwas Neues zu tun. Die Kulturtransformation und die Strategie werden das Ergebnis sein und nicht der Weg und das Ziel. Üblicherweise zermartern sich die Top-Manager den Kopf, was die Jungen wohl anspricht. Vielleicht wissen es ja die Berater. Also nein, das läuft so nicht, man sollte es so machen wie Steve Jobs es angeblich gesagt hat “We don’t hire smart people to tell them what to do, we hire them so they tell us what to do”. Und genau so sollte man es tun: Wir fragen die Jungen, was sie tun würden, wenn das ihr Unternehmen wäre. Nur das. Vielleicht in gemischten Gruppen, durch die Bank, durch die Hierarchien. Die Verkäuferin mit dem Lagerarbeiter, mit der Designerin und dem Praktikanten. Wir könnten ja 3 Gruppen bilden und sehen, welche Vorschläge sie parallel entwickeln. Alleine das würde schon die Kultur verändern und zu vermutlich spannenden Vorschlägen führen. Die mit Garantie effektiver sind als die übliche Strategieklausur des Führungskreises. Es wäre auch viel lustiger, auf solche Workshops habe ich Lust. Wir lassen sie spinnen, die Filiale der Zukunft bauen, Geschäftsmodelle entwickeln, geben ihnen Budgets sodass sie sich was ansehen können, und Zeitressourcen.

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Während ich die Rosen schneide, denke ich über Strategie nach: ist das nicht eigentlich total altmodisch? Strategieprojekte? Das setzt doch voraus, dass man weiß, wer man ist, was man will, wozu man da ist. Und dass man ca. weiß, was passieren wird. Ich denke über meine eigene kleine Firma nach: wir haben weder Strategie noch Unternehmensziele. Aber wir haben trotzdem eine starke Identität, wir haben Intentionen, vertreten gewisse Werte und diese klingen sehr unstrategisch, wie z.B: Wir reduzieren Leid in Unternehmen, wir arbeiten mit dem Top Management und setzen dort den Hebel an, wir begleiten Traditionsunternehmen in die Zukunft, wir interessieren uns für Weisheitstraditionen und Wissenschaft und wollen dies für unsere Arbeit nutzen, wir finden Führung wichtig, aber in einer neuen Form, die Arbeit mit uns machtglücklich. Wir wollen möglichst unabhängig von unseren Kunden sein, unsere Integrität wahren, wir wollen viel Freiraum haben, genug Geld verdienen, sodass es nicht wichtig werden muß, wir wollen in der Welt sein, viel sehen und erleben und wir wollen Kunden haben, die wir auch mögen und die schlau sind und mit denen man neue Sachen ausprobieren kann. Und wir wollen viel Zeit haben um zu lesen und zu denken und schreiben und zu sprechen und am See zu liegen und Kuchen zu backen. Vielleicht sollten sich Unternehmen auch mehr so ausrichten, sich selber klar werden, was sie wollen und dann sehen, ob es jemanden interessiert.

Dann gibt es ein virtuelles Treffen unseres N3XT Teams. N3XT ist ja unsere andere Marke, die wir in San Francisco gemeinsam mit Robert, dem Zen Priester, gegründet haben. Ziel ist es, Wisdom und Business zusammenzubringen. Jedenfalls haben wir jetzt noch Ute und Tom im Team und wir werden im August gemeinsam ein Retreat veranstalten, in dem es um das Thema “Presence” geht. Wir treffen uns, als Vorbereitung sozusagen, dzt. virtuell und reden darüber was für uns “presence” heißt. Tom und ich stellen fest, dass wir den Retreat selber dringend brauchen, weil es uns im Augenblick schwer fällt, wirklich ganz präsent zu sein und mit den Gedanken nicht ständig abzudriften. (Wie man hier lesen kann). Es ist ein herzliches und schönes Gespräch, ich genieße diesen Austausch mit Gleichgesinnten extrem. Falls jemand zu unserem Retreat  kommen will, kommt einfach. Es wird eine gute Zeit und sehr “unheilig”.. also nicht so ein ernstes Ding, wo man sehr bedeutungshaft spricht, sondern eine Auszeit für uns alle. An einem herrlichen Ort.

Der Garten jedenfalls interessiert sich nicht für meine Strategie. Als wir ihn angelegt haben, hatten wir ein paar Rahmenbedingungen: er muss halbwegs pflegeleicht sein, weil wir nur teilweise hier leben. Er soll lebendig sein und bunt. Blumen, die am besten den ganzen Sommer blühen. Wir wollen auch gerade Flächen, zum Fussballspielen für die Besuchskinder und zum Federballspielen für uns selbst. Slackline und Hängematte braucht man auch. Und Schatten wenn´s heiß ist. Der Hang muss durch Bewuchs befestigt werden. Kräuter wären auch schön. Also haben wir ihn mal grundangelegt und der Rest entsteht im Gehen. Jedes Jahr kommt etwas dazu, manches ist stabil, manches flexibel, anders geht wieder. Manche Pflanzen entwickeln sich anders als gedacht, die Kletterrosen z.B. tun überhaupt nicht weiter!! und der Gartenzaun zu den Nachbarn ist noch immer ein trauriger Anblick. Der Garten braucht Pflege und Führung, aber sonst sollte man ihn auch mal in Ruhe lassen. Die Rosen sind ganz ohne unserer Präsenz prächtig gewuchert. Die Schädlinge aber auch. Die Pflanzen sind die besten Lehrer: man kann sie zu nichts zwingen, wenn man an ihnen zieht, gehen sie ein. Sie haben das ganze Potential in sich, wir können nur günstige Bedingungen für sie schaffen, durch gießen, düngen und Pflege, aber nicht zu viel. Manchmal ist es gut, sie zu fragen, was sie brauchen, manchmal muss man sie radikal zurückschneiden, damit wieder Licht hineinkommt. Christian hat die alten Apfelbäume von ihrer vermosten Rinde befreit, jetzt stehen sie wieder da wie junge Burschen.

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Der Garten ist wie ein Führungskräfteentwicklungscamp: mit Gewalt und Dominanz erreicht man hier gar nichts, mit Klarheit und liebevoller Zuwendung sehr wohl.

So ganz gelingt es noch nicht mit der Erdung, ich drifte immer wieder ab zu anderen Themen, Kunden, der Welt, aber es ist OK so. Alles verwebt sich miteinander, ist messy und bunt und durcheinander.

Und es ist immer wieder gut, die Füße in die Erde zu stecken und sich vorzustellen, man wäre eine Pflanze, die verwurzelt in der Erde ist. Das funktioniert gar nicht schlecht.

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